Hilflosigkeit. Schon allein das Wort schwarz auf weiß zu lesen löst bei einigen von uns Unbehagen oder ein mulmiges Gefühl in der Magengegend aus. Die wenigsten Menschen sind in der Lage eine Notsituation von Mensch oder Tier einfach zu ignorieren oder ein bereits erlebtes Gefühl der Hilflosigkeit zu verdrängen. Hilflosigkeit und das Bewusstsein, dass wir nichts tun können, um zu helfen, führt zu Beklemmung, Panik und Angst. Hat man dies einmal erlebt, nimmt man sich vor, sich niemals wieder in so einer Situation zu befinden. Leider lässt sich das trotz der besten Vorsätze nicht immer umsetzen, denn wir kennen die Kapriolen, die das Schicksal manchmal schlägt und als Tierhalter und Pferdebesitzer sind wir relativ häufig und unerwartet mit verschiedenen Formen der Hilflosigkeit konfrontiert.

Meist trifft sie uns in Alltagssituationen. In den Momenten in denen wir am wenigsten mit ihr rechnen. Für diese Fälle möchte ich euch in diesem Blogbeitrag ein paar Tipps an die Hand geben, um in der akuten Notsituation die Nerven zu bewahren und die Chancen zu erhöhen, dass diese für dich und dein Pferd glimpflich ausgeht.

Notfallplan statt Hilflosigkeit

Die Kommunikationsprobleme mit unserem Pferd bei der Bodenarbeit, die einstudierte Lektion, die plötzlich nicht mehr zu funktionieren scheint oder die kleine Schrecksekunde beim Ausritt, sind nur Facetten der Hilflosigkeit. Sie haben zwar das Potenzial dazu uns den letzten Nerv zu rauben, doch langfristig betrachtet lernen wir aus diesen Situationen und sie helfen uns an Selbstsicherheit und Gelassenheit zu gewinnen.

Die für jeden Pferdemenschen wohl schlimmste Situation ist jedoch, wenn sich das geliebte Pferd in einer akuten Notsituation befindet. Einigen von euch ist es sicher schon passiert, man kommt nichts ahnend in den Stall und muss mit Entsetzen feststellen, dass sich das Pferd verletzt hat oder sich ungewöhnlich verhält. Im ersten Moment machen sich Panik und Angst in uns breit, wir wissen wortwörtlich nicht mehr wo uns der Kopf steht und wollen nur eins: helfen.

Da wir wissen, dass der Drang in einer Ausnahmesituation „irgendetwas“ zu tun oft überwältigend sein kann, wollen wir euch diesen Monat einen kleinen Notfallplan vorstellen, mit dem ihr euch vorab schon etwas vorbereiten könnt, um für den Fall der Fälle etwas gewappnet zu sein. Oft ist es leider so, dass eine Notsituation wie eine Bombe einschlägt und man schlichtweg nicht mehr in der Lage ist, Emotionen und Gedanken zu sortieren. Die einfachsten und routiniertesten Handgriffe können zur Herausforderung werden.

Dies sind ganz normale und vor allem menschliche Reaktionen und jeder von uns hat sie in der einen oder anderen Situation schon erlebt. Du bist also nicht allein und es gibt absolut keinen Grund sich schlecht oder unzulänglich zu fühlen! Für viele von uns kann es durchaus hilfreich sein sich vorab auf den potenziellen Ernstfall vorzubereiten um zu verhindern, dass man von der Situation komplett überrollt und handlungsunfähig gemacht wird.

  • Der Klassiker: Ruhe bewahren.

    Einige von euch rollen nun sicher mit den Augen und denken sich: klar, aber wie? Schließlich ist das leichter gesagt als getan. Denkt bitte daran, dass Pferde die Emotionen des Menschen sehr bewusst war nehmen, und sie postwendend verarbeiten. Ein Pferd spürt Angst, Furcht, Trauer oder Panik und kann sich davon mitreißen lassen, vor allem da bei Verletzungen oder akuten Erkrankungen wie Kolik oder Schlundverstopfung auch der Hormonhaushalt und die Psyche des Pferdes Achterbahn fahren. Deshalb ist es wichtig, dass der Mensch im Notfall die Kontrolle über die Situation behält und dem Pferd Sicherheit vermittelt.

  • Vorbereitet sein – eine Erleichterung im Ernstfall

    Manchmal hilft es einige Strategien für den Ernstfall im Petto zu haben, man fühlt sich automatisch etwas besser vorbereitet und muss sich nicht in der Akutsituation mit organisatorischen Dingen abmühen. Dies kann dir erleichtern, dich ganz auf deine persönlichen Bedürfnisse und die deines Pferdes einzustellen. Das Sprichwort „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ trifft in diesem Fall eindeutig zu. Wir haben für euch eine kleine Liste mit Tipps und Hilfestellungen erstellt, um euch die Vorbereitungen für den Ernstfall zu erleichtern.

  • Kontakte festlegen

    Eine aktuelle Liste mit den Notfallkontakten (Besitzer, Tierarzt, Hufbearbeiter, Pflege-/Reitbeteiligung) sollte für jedes Pferd im Stall aushängen, um die schnelle Kontaktaufnahme im Notfall zu erleichtern.

  • Notfallbetreuung planen

    Sprecht mit euren Stallkollegen darüber, wer im Notfall für Unterstützung verfügbar ist – wer wohnt zum Beispiel in der Nähe oder ist zeitlich flexibel und mobil, um schnell vor Ort zu sein?

  • Notfallnummern der verlässlichen Tierärzte speichern und aushängen

    Damit im Notfall nicht erst lang im Internet nach dem nächsten Tierarzt gesucht werden muss, ist es ratsam, die Notfallnummern der ansässigen Tierärzte im Handy zu speichern, diese regelmäßig auf Aktualität zu kontrollieren und eine Liste im Stall aufzuhängen. Zusätzlich ist es ratsam, abkzulären, welcher Tierarzt im Ernstfall verlässlich ist und zum Stall kommen wird. Leider passiert es häufig, dass Tierärzte nicht erreichbar sind und nicht jeder Tierarzt mit einer Notfallnummer ist automatisch bereit nachts oder am Wochenende zu einem neuen Patienten zu fahren.

  • über Tierkliniken in der Nähe informieren

    Um im Notfall nicht erst nach der passenden Klinik recherchieren zu müssen, sollte jeder Pferdebesitzer zumindest eine Idee davon haben, welche Kliniken für welche Notfälle in Frage kommen, wie schnell diese erreichbar sind, ob es bestimmte Öffnungszeiten oder Anmeldeprozesse gibt. Auch hier kann eine Liste/Karte mit Infos im Stall hilfreich sein, um schnelle Entscheidungen treffen zu können.

  • Familie oder Freunde mit einbeziehen

    Auch wenn das soziale Umfeld die Pferdebegeisterung nicht teilt, kann es unglaublich hilfreich sein zu wissen, dass man im Ernstfall emotionale Unterstützung hat.

  • Starke Personen für den Ernstfall ausfindig machen

    In manchen Situationen ist reine Körperkraft gefragt, sodass es im Zweifel gut zu wissen ist, wer wirklich mit anpacken kann. Vielleicht gibt es in deiner Umgebung einen Landwirt, der im Notfall mit Zugfahrzeug oder Maschinerie, zum Beispiel einem Traktor, aushelfen kann.

    Beispiele, wann der Einsatz von Maschinerie oder vereinten Kräften notwendig sein kann, sind folgende Szenarien:

    •  Das Pferd stürzt beim Spaziergang oder rutscht aus, kann nicht mehr allein aufstehen
    • Festlegen in der Box
    • Kolik, das Pferd ist verkrampft und kommt trotz Anstrengung vor Schmerzen nicht mehr auf die Beine
  • Verfügbarkeit von Fahrer, Zugfahrzeug & Hänger abklären

    Auch wenn du normalerweise dein Pferd selbst transportierst, kann es sein, dass deine Gefühle in dieser Ausnahmesituation unkontrollierbar werden, daher ist es gut einen Notfallkontakt zu haben, der dein Pferd für dich zur Klinik fahren kann. Nicht jeder von uns hat einen eigenen Hänger oder ein geeignetes Zugfahrzeug. Besprich mit Stallkollegen wer dir im Notfall einen Pferdehänger leihen und vielleicht sogar fahren kann.

  • Verladesicherheit herstellen

    Verlade-Training gibt dir und deinem Pferd zusätzlich Sicherheit und im Ernstfall könnt ihr, wenn nötig gleich losfahren ohne auf einen Tierarzt für die Sedierung warten zu müssen. Oftmals können kranke Pferde auch nicht sediert werden, daher ist es wichtig, dass das Pferd lernt, dass Hängerfahren nicht bedrohlich ist.

  • Vertrauen aufbauen und die Pferde-Mensch Beziehung stärken

    Du bist die Bezugsperson deines Pferdes und da es in einer Notlage keine Kontrolle über die Situation erhalten kann, wird es sich an dir orientieren. Hat dein Pferd z. B. gelernt, dass es dir vertrauensvoll in den Hänger folgen kann, wird es das auch tun, wenn es krank oder verletzt ist.

  • Trotz Hilflosigkeit die Kontrolle bewahren

    Jeder Mensch geht mit Notsituationen anders um. Die einen wirken äußerlich gefasst, es erscheint, als ob sie alles unter Kontrolle haben und von der Situation überhaupt nicht beeinträchtigt sind, während innerlich ein Sturm tobt. Andere sind zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, neigen zu emotionalen Ausbrüchen und können die Tränen nicht mehr zurückhalten.

    Essenziell ist, zu verstehen, dass es in Ausnahmesituationen kein richtiges oder falsches Verhalten gibt. Es tut nichts zur Sache, ob ein Pferdebesitzer in Tränen aufgelöst beim Tierarzt anruft, vor Stress Kreislaufprobleme bekommt und sich erst einmal sammeln muss oder ob jemand sofort genau weiß, wie er agieren muss. Es gibt keine perfekte, vorbildliche Reaktion! Das Wichtigste ist, sich mit dem eigenen Verhalten in emotionalen Stresssituationen auseinanderzusetzen und die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Es ist in Ordnung, wenn man vor lauter Nervosität nicht in der Lage ist sein Pferd in den Hänger zu laden oder selbst zur Klinik zu fahren. Man hat durchaus das Recht im Notfall um Hilfe zu bitten, falscher Stolz und das Gefühl alles allein machen zu müssen, können fehl am Platz sein. Die meisten Pferdemenschen sind in der Lage persönliche Differenzen unter Stallkollegen hinten anzustellen und bereit im Notfall helfend zur Seite zu stehen. Schließlich verbindet uns die Liebe zu unseren Pferden und wir wissen, wie schnell und unerwartet ein Unglück passieren kann. Scheue dich also nicht Eigenverantwortung zu übernehmen und traue dich nach Unterstützung zu fragen.

Unser Ziel ist es, euch mit diesem Artikel Mut zu machen und den Glauben an euch selbst zu stärken, damit ihr auch im Notfall für euer Pferd da sein könnt. Vielleicht möchtet ihr uns auch berichten, wie ihr erfolgreich eine Stresssituation mit eurem Pferd bewältigt habt oder habt noch zusätzliche Tipps, die wir hier noch nicht erwähnt haben. Wir freuen uns wie immer sehr von euch zu hören!

Deine

Vicky Hollerbaum

Wenn du Fragen hast, freue ich mich über deine E-Mail!